Am 19. Juni 2017 hat die Beratungsagentur empirica im Bochumer Rathaus Vorschläge für die Grundzüge eines Handlungskonzepts Wohnen vorgestellt. Als einer der Akteure, die im Rahmen des Beteiligungsprozesses an den Workshops zum Handlungskonzept teilgenommen haben, nehmen wir hiermit dazu Stellung.
1. Allgemein: Ziele und Leitlinien der Bochumer Wohnungspolitik
Die aktuellen Planungen sehen vor, dass das Handlungskonzept zunächst die Ziele und Leitlinien der Bochumer Wohnungspolitik festschreibt. Unter anderem geht es dabei um die Nutzung von Wachstumspotentialen, um die Wohnortbindung von Studierenden sowie um die Schaffung von Wohnraum für Familien und Ältere. Aus Perspektive des Netzwerks Stadt für Alle fehlen im vorliegenden Vorschlag allerdings wichtige Ziele, an denen sich eine soziale und zukunftsfähige Wohnungspolitik der Stadt Bochum orientieren sollte. Für notwendig halten wir die Aufnahme folgender Ziele:
- die Stabilisierung des Mietpreisniveaus in Bochum
- die Demokratisierung der Wohnungspolitik und Wohnraumverwaltung durch mehr Mieter*innenmitbestimmung
- die Förderung von gemeinwohlorientierten statt renditeorientierten Eigentumsformen
- der Abbau von Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt
2. Was ist mit den Geflüchteten?
Ein zentraler Ausgangspunkt zur Erstellung des Handlungskonzeptes Wohnen war die Ankunft einer großen Zahl von Geflüchteten in Bochum. In der Begründung der Beschlussvorlage zum Handlungskonzept Wohnen heißt es: „Im Themenfeld Wohnen erwachsen aus der Flüchtlingszuwanderung drängende Fragen nach einer adäquaten Unterbringung in kurz-, mittel- und langfristiger Perspektive sowie dem quantitativen Bedarf an zusätzlichen Wohneinheiten.“ Wir sind irritiert darüber, dass in den jetzt vorliegenden Handlungsempfehlungen von Geflüchteten an keiner Stelle mehr die Rede ist.
Wer Geflüchtete einfach unter die im Handlungskonzept genannten Zielgruppen Familien, Ältere und Studierende subsumiert, ohne auf ihre speziellen Probleme einzugehen, ignoriert die besonders prekäre Situation dieser Gruppe von in Bochum lebenden Menschen. Immer noch müssen in unserer Stadt mehr als 3.000 Menschen in Containern, provisorischen Sammelunterkünften und „übergangsheimähnlichen Unterbringungen“ ausharren. Bei keiner anderen Gruppe von Bochumerinnen und Bochumern wird das Recht auf Privatsphäre und auf menschenwürdiges Wohnen so eklatant verletzt. Geflüchtete sind nicht nur auf preiswerten Wohnraum angewiesen, sondern sie sind auch besonderen institutionellen Hindernissen sowie rassistischer Diskriminierung bei der Wohnungssuche ausgesetzt. Diesen besonderen Herausforderungen muss ein Handlungskonzept Wohnen gerecht werden.
Die Stadt Bochum möchte wachsen und ihre „Wachstumspotentiale“ ausschöpfen. Es sollen „Zuzüge von Familien aus Nachbarstädten generiert werden“, heißt es dazu in den vorgeschlagenen Zielen für das Handlungskonzept. Hierin drücken sich die übliche Kirchtumpolitik der Ruhrgebietsstädte und ihre gegenseitige Kanibalisierung aus. Wir sagen: Die Familien sind längst da und müssen entsprechend mit Wohnraum versorgt werden. Oder gehören die Familien von Geflüchteten nicht zu den Familien, die in Bochum erwünscht sind?
Wir schlagen daher vor, das Konzept um konkrete Handlungsempfehlungen zu erweitern, mit denen den speziellen Benachteiligungen von Geflüchteten begegnet wird. Dazu gehören der Abbau von institutionellen Hindernissen bei der Privatwohnungsnahme, die Versorgung mit regulären Wohnungen, die Auflösung aller provisorischen Sammelunterkünfte sowie Maßnahmen zum Abbau von rassistischen Diskriminierungen bei der Wohnungssuche. Letzteres betrifft insbesondere Geflüchtete, aber längst nicht nur. Das ist der Grund, weshalb wir vorgeschlagen haben, den Abbau von Diskriminierungen in die Liste der grundsätzlichen Ziele des Handlungskonzepts aufzunehmen.
3. Raus aus der Sozialwohnungs-Falle!
Die Planungen sehen bisher als Ziel vor, dass Investoren in Bochum pro Jahr 800 neue Wohnungen bauen sollen, davon 200 im sozialen Wohnungsbau. Das klingt nach viel mehr, als es tatsächlich ist. Denn pro Jahr fallen aktuell weiterhin rund 180 Wohnungen aus der Sozialbindung. Der Bau von 200 neuen Sozialwohnungen pro Jahr würde also lediglich einen Zugewinn von 20 Sozialwohnungen jährlich bedeuten.
Dabei hat sich alleine in den zehn Jahren von 2005 bis 2015 die Zahl der mietpreisgebundenen Wohnungen in Bochum fast halbiert. Aktuell gibt es nur noch 13.000 mietpreisgebundene Wohnungen in Bochum. Gleichzeitig ist die Zahl der Haushalte, die Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, mehr als sieben Mal so groß. Das bedeutet: Wenn die Zahl der Sozialwohnungen in Bochum nur um 20 Wohneinheiten pro Jahr wachsen soll, würde es mehr als 600 Jahre dauern, bis es in Bochum wieder genauso viele Sozialwohnungen gibt, wie es noch im Jahr 2005 waren!
Wir meinen: Eine Zielsetzung, mit der es mehr als 600 Jahre dauert, bis nur die wohnungspolitischen Fehler der letzten zehn Jahre wettgemacht sind, ist nicht ambitioniert, sondern absurd. In unseren Augen ist sie eines Handlungskonzepts Wohnen unwürdig.
4. Rein in den kommunalen und gemeinnützigen Wohnungsbau!
Diese Zahlen zeigen, wie funktionell kaputt das Fördersystem des sozialen Wohnungsbaus mit seiner nur zeitweiligen Mietpreisbindung ist. Dieses Fördermodell ist für sich genommen nicht ansatzweise geeignet, die aktuellen Probleme im Bereich günstigen Wohnraums zu beseitigen. Das Handlungskonzept Wohnen muss also auf innovativere Modelle setzen, die dauerhaft preisgebundenen Wohnraum schaffen und erhalten. Dies ist möglich, wenn die bestehenden Förderprogramme genutzt werden, um damit nicht private Rendite, sondern gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbau zu fördern. Bei der Diskussion über die mögliche Gründung eines kommunalen Wohnungsunternehmens sind bisher die Chancen, die sich durch die Verpflichtung eines solchen städtischen Unternehmens auf gemeinnützige Ziele ergeben, schlichtweg nicht berücksichtigt worden. Eine gemeinnützige und kommunale Wohnungsgesellschaft kann außerdem maßgeblich zum Abbau von Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt beitragen.
Das bedeutet: Die Chancen der Wohnungsgemeinnützigkeit müssen mit in das Handlungskonzept Wohnen aufgenommen werden. Erst dann wird deutlich, welche großen Vorteile sich im Vergleich zur bisherigen Privatisierungspolitik ergeben. Wir begrüßen ausdrücklich den Vorschlag, eine neue Wohnungsgesellschaft in städtischer Trägerschaft zu gründen. Diese sollte auf gemeinnützige Ziele verpflichtet werden. Als Alternative dazu wäre auch das Ziel einer vollständigen Kommunalisierung der VBW denkbar, um sie zu einer gemeinnützigen kommunalen Gesellschaft umzugestalten.
5. Bauland kommunal bewirtschaften!
Um solche innovativen Konzepte zu ermöglichen, sollte ein Ende der Privatisierung von städtischem Bauland Teil der Maßnahmen des Handlungskonzepts Wohnen werden. Statt wie bisher kommunale Flächen zu privatisieren, damit Investoren mit ihnen Rendite erwirtschaften können, sollten kommunale Flächen für gemeinnützigen kommunalen Wohnungsbau genutzt werden.
6. Keine Verdrängung – Wohnungsbestände sozial weiterentwickeln!
Bei den Maßnahmen zur Entwicklung der Wohnungsbestände müssen soziale Kriterien als verbindliche Bedingungen aufgenommen werden. Nur so kann verhindert werden, dass Wohnungsunternehmen und andere Eigentümer*innen Modernisierungen zur Erhöhung des Mietpreisniveaus und damit zur Erhöhung ihrer Rendite nutzen – und dass sie dabei Verdrängungseffekte in Kauf nehmen. Deshalb muss im Handlungskonzept Wohnen festgehalten werden, dass alle städtischen Maßnahmen zur Sanierung und Modernisierung des Wohnungsbestands das Kriterium der Sozialverträglichkeit erfüllen müssen. Ein städtisches Zuschussprogramm für Modernisierungen muss so gestaltet sein, dass eine durch die Stadt subventionierte Verdrängung von einkommenschwächeren Mieter*innen aus ihren Wohnungen ausgeschlossen ist. Die Förderbedingungen eines Zuschussprogramms müssen auch einen Missbrauch städtischer Mittel zur Steigerung privater Rendite ausschließen. Diese Kriterien sollten bereits im Handlungskonzept verankert werden. Bei der Evaluation der Maßnahmen des Handlungskonzepts sollte auch eine Evaluation der sozialen Folgen ausdrücklich als integraler Bestandteil erwähnt werden.
7. Leerstandskataster und Zweckentfremdungssatzung einführen!
Es sollte nicht nur wie vorgeschlagen ein Baulücken- und Nachverdichtungskataster entwickelt werden, sondern damit einhergehend auch ein Leerstandskataster. Was z.B. in Niedersachsen möglich ist, sollte auch in NRW und für Bochum eingefordert werden. Bochum sollte prüfen, ob hier ein entsprechendes Pilotprojekt für NRW möglich ist. Eine Zweckentfremdungssatzung sollte alleine schon deshalb zeitnah eingeführt werden, weil sie Leerstände meldepflichtig machen würde. Diese Erfassung der Leerstände wäre alleine schon ein großer Gewinn für die Weiterentwicklung der kommunalen Wohnungspolitik, selbst wenn alle anderen zu erwartenden positiven Folgen ausbleiben würden.
Netzwerk Stadt für Alle, 29.06.2017