Ein Kommentar von »Stadt für Alle« zum verhinderten Bochumer Radentscheid
Es ist unfassbar mit welcher Arroganz die rot-grüne Stadtregierung zusammen mit der Verwaltung sich des Bochumer Radentscheides entledigt hat. Ein Gutachten, das die formale Unzulässigkeit bescheinigt wischt 18 Monate Engagement vieler Bochumer*innen und 17.000 Willensbekundungen vom Tisch. Wie der Maßnahmenkatalog des Radentscheides in Bezug auf die gesetzlichen Vorgaben in NRW juristisch zu bewerten ist, ist dabei unerheblich. Wer sucht, der findet! Die Beauftragung des Gutachtens geschah mit dem politischen Willen den Radentscheid zu verhindern. Beauftragt wurde deswegen ein sozialdemokratischer Verwaltungsrechtler, der bereits den Bielefelder Radentscheid für unzulässig erklärt hatte. Dass die Stadt die Schuld für das Scheitern an die Initiator*innen des Bürgerbegehrens übergibt, die ihrer Meinung nach einfach zu dusselig waren, sich von ihren Gegner*innen in der Verwaltung „gut beraten“ zu lassen und sich im gleichen Atemzug selbst für ihre marginalen Maßnahmen für mehr Radverkehr lobt, ist an Perfidität kaum zu überbieten. Was ist das für eine politische Kultur, die auf diese Weise engagierten Stadtbewohner*innen entgegentritt?
Die Grünen, Koalitionspartner der SPD, die den Radentscheid zunächst unterstützten, bleiben auffällig inaktiv und scheuen die offene Auseinandersetzung mit der SPD. Sie verzichten darauf die Aktivist*innen des Radentscheides in mögliche Kompromissverhandlungen miteinzubeziehen. Dass die Grünen in einem ihrer ureigensten Themenfelder kein Standing haben, macht sie überflüssig.
So wird das nichts mit der Verkehrswende! Nachdem der mit der Schließung des Opel-Werks angekündigte Weltuntergang nicht stattgefunden hat, besinnt sich die Stadt Bochum nach dem Ende der großen Industrien auf andere Werte. Sie vermarktet sich heute als „Stadt des Wissens“. Aber welche Art von Lebensqualität glauben die Stadtoberen, werden die Studierenden der Hochschulen oder die Beschäftigten des zukünftigen Fraunhofer Instituts für IT-Sicherheit hier vorzufinden wünschen? Mit dem Auto in die Innenstadt fahren zu können? Studien, die belegen, dass autofreie Innenstädte nicht nur attraktiver, sondern auch umsatzstärker sind, werden beharrlich ignoriert. Hinter all dem Marketing-Wortgeklingel bleibt Bochum Autostadt. Um dem durch den Online-Markt und der Corona-Pandemie gebeutelten Einzelhandel unter die Arme zu greifen, initiierte die Stadt Bochum 2020 die Aktion „Dein Parkschein geht aufs WiR“, um Autos in die Innenstadt zu locken. Das war nicht nur peinlich, sondern konterkarierte auch alle Diskussionen zum Thema Klimaschutz und Verkehrswende.
Die „Stadt des Wissens“ ist bei der rot-grünen Ratsmehrheit noch nicht angekommen. Mut- und ideenlos werden von vermeintlichen Sachzwängen bestimmte Entscheidungen exekutiert. Die erfolgreiche Abwehr des Radentscheides zeigt einmal mehr, wie in Bochum ohne jeglichen Gestaltungswillen durchregiert wird. Sie ist ein Schlag ins Gesicht aller zivilgesellschaftlichen Akteure, die sich in dieser Stadt für ein solidarisches Leben, Demokratie und Nachhaltigkeit einsetzen: Die Bochumer Radwende, Seebrücke, die Initiativen für den Erhalt der Bäder in Langendreer und Höntrop, das Netzwerk für bürgenahe Stadtentwicklung, Fridays for Future und die zahlreichen Umweltverbände, um nur einige zu nennen.
Eigentlich müsste die Stadt Bochum stolz darauf sein so zahlreiche engagierte Initiativen zu haben und sie zu einer innovativen Koproduktion des Gemeinwesens Stadt willkommen heißen. Eigentlich. Aber in Bochum werden Engagement und Gestaltungswillen in erster Linie als Störung empfunden. Diese Stadtregierung bleibt im Gestern gefangen – mit einem selbstgefälligen Thomas Eiskirch an der Spitze, der sich selbst gerne als Ermöglicher sieht, aber in Wirklichkeit ein Verhinderer ist.
Wir sind wütend für den Moment aber optimistisch für die Zukunft. Es ist nur eine Frage der Zeit bis dieses rückwärtsgewandte Politikmodell in die Krise gerät, weil es keine Antworten auf die Fragen der Gegenwart hat und verschwinden wird, wie die letzten Dinosaurier. Lassen wir uns nicht entmutigen!
Netzwerk »Stadt für Alle«, März 2022